Die Frau vom Weihnachtsmann
Heute und hier will ich ein wohl gehütetes Geheimnis lüften: Ich bin die Frau vom Weihnachtsmann.
Sie glauben das nicht, weil Sie schon längst den Glauben an den Weihnachtsmann verloren haben? Nun, dann haben wir ein Problem. Wenn es den Weihnachtsmann nämlich nicht gibt, dann hat er auch keine Frau und dann gibt es mich auch nicht. Aber ich bin Realität und 1979 als Frau vom Weihnachtsmann standesamtlich genehmigt und beurkundet. Das war kurz nach Weihnachten in Oberursel bei Frankfurt. Klar hab ich das schriftlich, was denken Sie denn? Ich würde doch nicht in wilder Ehe mit einem Weihnachtsmann leben und das auch noch freiwillig zugeben.
Aha, jetzt kommen wir weiter. Sie fangen an zu grübeln. Kein Grund zur Panik. Die Geschichte ist ganz einfach. Um sie zu erzählen, müssen wir jedoch weit zurück in meine ersten Kinderjahre.
Damals kam der Weihnachtsmann jedes Jahr zu uns. Eine hoch aufgeschossene, männliche Gestalt mit einem jugendlichen Gesicht und einem weißen Wattebart. Dass er keinen Bauch hatte, wie es sich eigentlich für den Weihnachtsmann gehört, machte uns Kindern nichts aus. Allein der Bart und der rote Bademantel reichten als Legitimation. Wenn wir alle ehrfürchtig unsere Gedichte aufgesagt hatten, wurde es gemütlich. Der Weihnachtsmann setzte sich in die Familienrunde. Als einzigem Mädchen unter lauter Brüdern kam mir die Ehre zu, auf seinen Knien zu sitzen und an seinem Bart zu zupfen. Ich fand schon in diesem zarten Alter, dass die Knie des Weihnachtsmannes ein guter Platz für ein kleines Mädchen sind.
Meine Brüder beneideten mich um dieses alljährliche Privileg. Doch allzu lange dauerte es eh nicht. Irgendwann fingen wir Kinder an, über die wahre Identität des weihnachtlichen Besuches nachzudenken. Unter uns Geschwistern herrschte seltene Einigkeit darüber, dass Onkel Herbert nicht in Frage kam. Der war kleiner. Und – wie das im Leben so spielt – in dem Moment, in dem man Dinge hinterfragt, werden sie Vergangenheit. Der Weihnachtsmann kam nicht mehr. Wir vergaßen die ganze Sache.
Als ich viele Jahre später, im Dezember 1979, mit meinem frisch Angetrauten das Standesamt in Oberursel verlasse, sagt er zu mir: „Du hast früher immer zu Weihnachten auf meinen Knien gesessen und mich schon damals so nett angehimmelt.“